Die Wahrheit beginnt zu zweit
Über das Essay von Klaus Eidenschink – er schreibt, dass erfolgreiche Führung nicht in der Kompetenz der Führungskraft liege.
In der Ausgabe 3/13 von „wirtschaft + weiterbildung“ schreibt der Executive Coach, Konfliktmoderator und Berater Klaus Eidenschink die Titelstory „Mythos Führungsstärke“. Seiner Meinung nach trägt auch der Mitarbeiter eine Verantwortung für die erfolgreiche Führung durch den Chef: durch das bewusste „Sich-führen-lassen“. Er sieht hier Schulungs- und Beratungsbedarf bei den Mitarbeitern. Ich möchte seine Thesen kurz zusammen fassen und dann vor allem darauf eingehen, welche Reaktionen der Artikel in mir ausgelöst hat.
Die Argumentation Eidenschinks ist für mich schlüssig und nachvollziehbar: wenn eine Führungskraft Einfluss nehmen soll, müssen die Mitarbeiter die Einflussnahme zulassen. Die Macht, die ein Chef ausüben soll, kann ihm nur von unten verliehen werden. Allerdings bringe jeder Mitarbeiter in das Arbeitsverhältnis alle ungelösten Autoritätskonflikte seiner Lebenserfahrung mit ein. Erwartungen, Hoffnungen und Frustrationen aus der Vergangenheit mit den Eltern, Lehrern und ähnlichen Führungsfiguren würden auf die Führungskraft projiziert. Und dass der/die Vorgesetzte diese „Gemengelage“ alleine lösen solle, sei „schlicht eine Überforderung“. Als Schluss daraus fordert er, dass Unternehmen nicht alleine in Fortbildungsprogramme für Führungskräfte investieren, sondern auch für die Mitarbeiter. Für ein besseres „Wie-lasse-ich mich-führen“ sieht er den Schlüssel in einer Autonomie des Mitarbeiters, der sagen kann: „Keiner hat Macht über mich, außer ich gebe sie ihm“. Der sich eine Unabhängigkeit von der Führungskraft bewahrt und die Verantwortung für seine eigene Motivation und Leistung zu sich selbst nimmt, anstatt sich als Opfer der unvollkommenen Führungskraft zu sehen. Führungsstärke wird dann nicht mehr Merkmal einer Person, sondern der Beziehung zwischen den Beteiligten.
Das Essay brachte mich richtig in Wallung. Die Idee von „Wie-lasse-ich-mich-führen-Schulungen“ fand ich zuerst provokativ. Dann spekulativ. Die Entlastung, ja geradezu Demontage der Führungskraft von ihrer heiklen Verantwortung als souveräne Autorität fand ich verkehrt – darin lag in meiner Sicht immer die ureigene Kompetenz einer/s Vorgesetzten. Die Thesen die hinter Eidenschinks Ausführung stehen, decken sich allerdings mit meinen Ansichten: dass Macht von unten verliehen wird, nicht von oben. Dass nicht nur Vorgesetzte, sondern gerade in der heutigen Arbeitswelt Mitarbeiter Schulungen benötigen in Selbststeuerungskompetenzen, in der richtigen Kommunikation für die Abstimmung mit der Führungskraft. Dass „das Wichtigste, was ein Chef von seinen Mitarbeitern braucht, das ist, was diese nur freiwillig geben und nicht das, was sie unter Druck tun“.
Was war also passiert, dass ich das Essay zunächst ablehnte: zuoberst sicher die Demontage meines Ideals der Führungskraft. Tatsächlich sind in meiner Erfahrung alle Führungskräfte, die ich je erlebt habe, mit dem Management der Beziehungen zu ihren Mitarbeitern überfordert gewesen (diese Formulierung schließt mich ein). Damit gerät auch mein Ziel ins Wanken, als Trainer Führungskräfte genau darin zu schulen, diese Verantwortung gänzlich zu sich zu nehmen und zum Zentrum ihres Handelns zu machen.
Andererseits witterte ich sofort Kalkül hinter den Ausführungen. Die Anzahl von Führungskräften, die man trainieren und coachen kann ist schließlich deutlich kleiner, als die Summe aller Mitarbeiter. Es vergrößert also deutlich den Zielmarkt, wenn man glaubhaft machen kann, das alle Schulungsbedarf haben. Und zuletzt – und um das freizulegen, habe ich ein paar Tage gebracht – habe ich gegen die Verantwortung Widerstand geleistet, die der Autor vor meine eigene Tür legte. Da meine letzte Arbeit für einen Vorgesetzten am Ende scheiterte, muss ich als Mitspieler in der Beziehung meinen Teil der Verantwortung akzeptieren, wenn ich wie Eidenschink Führungsstärke als Merkmal der Beziehung einstufe.
Nachdem ich durchschaut hatte, was das Essay alles an Reaktionen in mir ausgelöst hatte, konnte ich mich sehr gut damit arrangieren. Vor allem mit den Punkten, in denen ich Eidenschink zustimme: Führungskräfte brauchen Training und Beratung in Kompetenzen, die in Schule und Studium nicht vermittelt werden und die einem nicht zufliegen. Mitarbeiter auch. Ziel ist es, dass beide gemeinsam erfolgreich sind. Und dann bringt er es sehr schön auf den Punkt: wenn die Führungskraft gefragt hat, was sie vom Mitarbeiter braucht, um gut zu führen; und wenn der Mitarbeiter gefragt hat, was er braucht, um sich gut führen zu lassen; dann gibt es für beide nur noch die Frage: „Wie kann ich gelassen reagieren, wenn ich das nicht bekomme.“