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Mario Götze „passiert so etwas nie wieder“

Darüber, wie wir Neues lernen

Der Fußball-Profi Mario Götze hat in den vergangenen Monaten außerhalb des Spielfelds mehr Schlagzeilen gemacht als darauf: er tauchte erst bei seiner Präsentation als Neuverpflichtung des FC Bayern in einem Nike T-Shirt auf, was als Provokation und Affront gegenüber dem langjährigen offiziellen FCB-Ausrüster (und -Gesellschafter) Adidas aufgefasst wurde. Und wenige Wochen später erschien er bei der seit vielen Jahren von Adidas ausgestatteten DFB-Nationalmannschaft in Nike-Strümpfen. Im ersten Fall wurde Götze vom Verein mit EUR 20.000 Geldstrafe belegt. Bei der Nationalmannschaft, bei der die Spieler nicht unter Vertrag stehen, ging es weniger drastisch zu. Interne wie öffentliche Schelte verschärften sich allerdings.

Wenn wir unbeachtet lassen, dass Götze absichtlich oder im Auftrag seines persönlichen vertraglichen Ausstatters Nike gehandelt haben könnte, ergibt dies ein Paradebeispiel dafür, wie wir Menschen lernen, vor allem wenn es um das eigene Verhalten geht: nämlich schwierig, langsam und mit heftigen Rückfällen in alte Muster. Ein einmaliger Impuls: eine neue Information, mit der ich schneller arbeiten kann; ein Lerneffekt aus einem Fehler, den ich begangen habe; eine neue Technik, mit der ich mehr Ideen generieren kann – ein einmaliger Impuls reicht nicht, damit ich anschließend nur noch diesem Impuls entsprechend handle. Jahre der Kindheit und der Jugend, Jahre im sozialen Miteinander mit anderen und Jahre im Beruf haben mein Verhalten geprägt, haben Muster geformt. Und mein Unterbewusstsein hilft mir, in dem es mich diese Muster abspulen lässt, ohne dass ich darüber nachdenken muss. 

Der Vorsatz meines Unterbewusstseins mag ein nobler sein: nämlich die Entlastung meines Bewusstseins, das sonst in jeder Sekunde 11 Millionen Sinnes-, Gefühls- und Wissensreize verarbeiten müsste: eine nicht zu bewältigende Aufgabe. Wie gut, dass das Unterbewusstsein so viel filtert und den Autopiloten abspult! Das Ergebnis ist trotzdem zwiespältig: ich kann aufgrund neuer Informationen nicht vollkommen frei wählen, ab morgen anders zu kommunizieren oder zu führen, meine Körpersprache anders zu steuern. Das führt dazu, dass viele Menschen in Seminare und Kurse laufen und dass sie hinterher trotzdem nicht viel ändern, nicht viel umsetzen. Ich kann nicht auf Knopfdruck meine Verhaltensmuster modifizieren. Keiner, oder zumindest die Wenigsten von uns können das. Aber wir können es üben, wir können es wie die Fußballer trainieren: durch Wiederholen, durch Nicht-Nachlassen. Wenn wir unser Selbstwertgefühl nicht dadurch verletzen wollen, dass wir uns etwas vornehmen und dann nicht umsetzen, dann müssen wir es sogar üben. Dann wird für uns persönlich auch aus jedem Buch und jedem Seminar ein Meilenstein der Entwicklung und Veränderung.

Wissenschaftlich ist das darin begründet, dass unser Gehirn Informationen in Form von neuronalen Netzen abspeichert: zu jeder Information wird ein Netz gesponnen aus den Sinneswahrnehmungen, den Gefühlen und den Reaktionen, die wir zu dieser Information hatten. Je häufiger das gleiche Netz aus Sinneswahrnehmungen, Gefühlen und Reaktionen angesprochen wird, desto stärker bilden sich die neuronalen Verbindungen: das Netz besteht nach häufigen Wiederholungen aus dicken Tampen und nicht mehr aus hauchdünnen Spinnenfäden. Eine neue Information als ganz fragiles Konstrukt soll nun also gegen die dicken Taue des eingefahrenen Neuronenmusters antreten. Sie werden das neue neuronale Netz erst trainieren müssen, seine Fäden zu Seilen anschwellen lassen. Und das alte Muster müssen Sie erschlaffen lassen, Sie dürfen ihm keine Impulse mehr zuführen.

Der einmalige Eklat hat für Mario Götze nicht gereicht, um entweder seine Haltung gegenüber den Geschäftspartnern zu korrigieren oder einfach beim Griff in den Kleiderschrank die Augen aufzumachen. Nun ist es spekulativ, Mario Götze keine Absicht oder eben doch Absicht zu unterstellen. Keiner wird exakt herausfinden, ob er an dem jeweiligen Morgen wirklich über sein T-Shirt oder seine Kompressionstrümpfe nachgedacht hat. Oder ob sein Nike-Betreuer ihm einen fetten Scheck zugesteckt hat. Und ob sich das überhaupt gelohnt hätte – denn im Umfang hatten die Marken „Götze“, „Adidas“ und „Nike“ ja gemeinsam den höheren Ausschlag an Abdrucken und Page Impressions, da konnte ja keiner dem anderen davon ziehen. Wobei Adidas mit seiner souveränen Haltung, das Thema nicht aufzubauschen und „seinen Partnern zu vertrauen“, positiver wegkommt als der junge Star in Nike.

Wenn Mario Götze am Ende dieser Geschichte sagt: „Eins kann ich versprechen, so etwas wird mir ganz sicher nicht mehr passieren,“ dann hat das nach dem zweiten Fauxpas schon eine höhere Wahrscheinlichkeit. Ein stärkeres neuronales Netz schafft er sich, wenn er einen Post-It an seinen Kleiderschrank macht. Den kann er nach ein paar Wochen wegschmeißen, wenn er sich daran gewöhnt hat, jeden Tag vor dem Griff nach den geliebten Nike-Artikeln zu überlegen, ob heute noch ein wichtiger Presse-Termin ansteht.

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