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Dickes Fell oder dickes Feedback?

Dickes Fell oder dickes Feedback?

Dickes Fell oder dickes Feedback?

Welche Lösung liegt in meinem Einflussbereich, wenn das Verhalten meines Gegenübers mich stört?

Häufig begegne ich Menschen, die mit jemand Anderem ein Problem haben. Genauer gesagt: mit der Art oder dem Verhalten der/des Anderen. Sie fühlen sich beeinträchtigt, gestört, gereizt oder sogar provoziert, weil etwas an dem/der Anderen sich mit ihnen nicht verträgt. Die andere Person oder ihr Verhalten entspricht nicht dem eigenen Verständnis und der eigenen Erwartungshaltung. Vielleicht benehmen sie/er sich in Widerspruch zu meinen eigenen Werten oder ich empfinde sie als übergriffig in meinen persönlichen Bereich. Sie können auch ein ungelöstes Thema antriggern, das ich in mir selbst trage. Eine üppige Vielzahl an Ursachen kann dafür sorgen, dass zwei Menschen nicht nur eine unterschiedliche Wellenlänge haben, sondern dass einer sogar richtig genervt oder verärgert ist.

Viele Menschen reiben sich daran auf, verfallen in eine Serie von immer gleich verlaufenden Scharmützeln mit der anderen Person. Einige pflegen regelrecht ihren Konflikt mit dem/der anderen. Das erinnert dann an Don Camillo und Peppone oder an die eskalierenden Nachbarschaftsstreits aus der Boulevardpresse. Vielleicht greifen sie auch nach der Möglichkeit zu Vermeidungsstrategien und gehen einander aus dem Weg. Das kann im Beruf allerdings negative Auswirkungen haben, wenn bestimmte Ergebnisse von der Zusammenarbeit mit meinem „schwierigen“ Gegenüber abhängen. Oder in der Familie, in der man sich zu bestimmten Zeitpunkten eben doch wieder zusammenfindet – und dann direkt zu Feiern und Festen, wo nun wirklich keiner Störungen und Sticheleien wünscht.

Selten habe ich es gehört, dass jemand solch eine Situation für sich selbst so löst: „Der ist halt so. Das hat mit mir nichts zu tun.“ Bewusst fallen mir sogar nur zwei Menschen, die mir erzählten, wie sie diese Konstellation aufgelöst haben, indem sie sich in Bezug auf ihre „Reizfigur“ ein dickeres Fell zugelegt haben. Sie haben sich m.E. erfolgreich darauf konzentriert, was in ihrem eigenen direkten Einflussbereich liegt, um die Situation für sich selbst angenehmer zu gestalten. So konnten sie erreichen, dass sie selbst erlebten, dass der andere Mensch mit seinem Verhalten keinen negativen Affekt mehr in ihnen hervorrufen konnte.

Den meisten von uns fällt das mit dem dicken Fell schwerer. Sicherlich auch in Abhängigkeit davon, was denn die Ursache für das Störungs-Gefühl ist. Wenn mein Gegenüber in mir auf unbewusster Ebene die Erinnerung an negative Erfahrungen weckt. Wenn ihr/sein Verhalten ein ungelöstes Thema in mir selbst „anspielt“ – dann hat das Wachsen lassen eines dicken Fells geringe Aussichten auf Erfolg. Denn das negative Gefühl, das ausgelöst wird, schlummert ja bereits in mir. Da hilft mir nicht einmal ein Mammutfell oder die Fettschicht eines Wals.

Neben dem sorgfältigen Aufspüren, was denn da in einem Selbst so gereizt anspringt auf die/den Gesprächspartner/in oder Arbeitskollegin/en, gibt es eigentlich nur eine Route, die Hoffnung macht auf eine Veränderung der unangenehmen Situation: das direkte Feedback. Und wenn ich im Titel „dickes“ Feedback schreibe, meine ich damit nicht, dass Sie Ihrem Gegenüber mal so richtig die Meinung geigen sollen oder dass Sie sich mit ihm in einen zweitägigen Workshop zurückziehen müssen. Ich meine damit: machen Sie es rund! Packen sie hinein, was ein anderer Mensch braucht, um ihr Feedback annehmen und verstehen zu können:

  1. Die subjektive Perspektive. Bitte versuchen Sie nicht etwas objektiv festzustellen oder zu beschreiben: Sie nehmen die Situation oder das Verhalten ganz subjektiv wahr. Wenn das Feedback gelingen soll, drücken Sie ihre subjektive Empfindung genau so aus.
  2. Benennen Sie ganz konkret, wo Ihnen der Schuh drückt – umschreiben Sie es nicht, reden Sie nicht darum herum. Beschreiben Sie die Auswirkungen auf Sie: was ist die Konsequenz aus der Situation, die Sie verändert haben möchten.
  3. Was ist Ihre Motivation dabei – geben Sie dem Gegenüber die Chance zu verstehen, was bei Ihnen oder für Sie durch sein Verhalten ausgelöst wird. Und wenn Ihr Gesprächspartner schafft, sich auf Ihr Feedback einzulassen, treffen Sie gerne eine Vereinbarung. Schaffen Sie gemeinsam mit ihm eine in der Zukunft belastbare Verabredung, die Klarheit und Zufriedenheit für beide Seiten bringt.

Wenn Sie das Feedback nicht suchen, treffen Sie keine Vereinbarung. Dann überlassen Sie es dem Zufall, ob die Situation sich für Sie verbessert. Wenn Sie das Gespräch suchen, haben Sie die Chance eine Vereinbarung zu treffen: einen Deal für die Verbesserung der Situation. Falls das nicht klappt haben Sie und Ihr Gegenüber jeder eine neue Perspektive auf das Thema gewonnen. Auch darüber kann sich die Situation zu Ihren Gunsten verändern. Wenn Sie eine Vereinbarung getroffen haben, kann es Ihnen immer noch passieren, dass Sie oder Ihr Deal-Partner vergessen, sich daran zu halten. Dann kann jeder von Ihnen ganz gelassen auf den anderen zugehen und sagen: „Wir hatten einmal etwas vereinbart. Können wir darauf zurückkommen?“ Im besten Fall treffen Sie eine Vereinbarung, beide halten sich daran, und Ihre Kooperation, Ihre gemeinsamen Ergebnisse oder eben die jeweilige Zufriedenheit verbessern sich. Das alles scheint mir sinnvoller, als die Situation so laufen zu lassen, wie sie ist.

Verantwortung für die Arbeitsbeziehung

Es ist doch nicht meine Aufgabe, den Kollegen zu erziehen!

Es ist doch nicht meine Aufgabe, den Kollegen zu erziehen!

Der schwierige Zugang zur eigenen Verantwortung für die Arbeitsbeziehung unter Team-Mitspielern

Ich bin erstaunt darüber, wie oft ich diesen Ausruf in letzter Zeit hörte: Es ist doch nicht meine Aufgabe, den Kollegen zu erziehen! Haben Sie das auch schon einmal gedacht oder gesagt oder gehört? Ich habe diesen Ausruf ausnahmslos in Situationen gehört, in denen ein Konflikt vorlag: unter Kollegen und in Vorgesetzten-Mitarbeiter-Konstellationen. Unter Konflikt verstehe ich hier: eine Person hat das Verhalten des Kollegen/Vorgesetzten/Mitarbeiters erlebt und daraus für sich negative Konsequenzen erfahren: eine Verletzung, ein Missachtung, die Nicht-Erfüllung einer Absprache oder eine unausgesprochenen Erwartung. Wenn die Person dies nicht herunterschluckt, stumm aussitzt oder sich eine stille Notiz macht, die es später zu vergelten gilt; wenn sie stattdessen ihrem Unmut Luft macht und ihre Frustration und Enttäuschung zum Ausdruck bringt ist das vor allem eins: gut. Die Situation zu thematisieren und auszusprechen lässt aufgestaute Emotionen raus. Im Gespräch bietet sich sogar die Möglichkeit der Reflektion und des Einnehmens neuer Perspektiven auf die Situation.

Allein das „wie mache ich mir Luft und wohin“ birgt den Unterschied zwischen einer effektiven Bearbeitung der Situation und einer kontraproduktiven Verpuffung. Wenn die Person auf den Kollegen/Vorgesetzten/Mitarbeiter zugeht, und ihm schildert, wie er die Situation erlebt hat und was er sich stattdessen in der Zusammenarbeit wünscht: Dann entsteht die Chance von Entwicklung und Verbesserung in der Arbeitsbeziehung. Dann gibt es die Möglichkeit, die Sichtweise des Anderen kennen zu lernen; die Informationen beider Beteiligter zu vervollständigen; und Vereinbarungen zu treffen, auf die beide Seiten sich berufen können.

Wer allerdings den oben geschilderten Weg wählt: einem Dritten gegenüber seinen Unmut auszudrücken und dann sogar das Gespräch mit dem Anderen abzulehnen – weil es ja „nicht meine Aufgabe ist, dem anderen beizubringen,“ wie er sich zu verhalten habe – dann führt dies zu einer Verschärfung der Situation auf allen Ebenen. Und zu einer Verschärfung der Frustration bei Ihnen als Betroffenem:

  1. Sie beurteilen, was der Kollege/Mitarbeiter/Vorgesetzte Ihrer Meinung nach zu tun hat. Indirekt sprechen sie ihm damit die Kompetenz ab, dies für sich selbst zu bestimmen. Ein Treffen auf Augenhöhe ist damit schon nicht mehr möglich. Sie haben sich „über“ ihn gestellt.
  2. Der Kollege weiß nicht, dass Sie eine andere Sichtweise haben. Er erfährt nicht, dass Sie sein Verhalten als unzuträglich für das Erreichen gemeinsamer Ziele halten. Sie enthalten ihm eine Perspektive vor, die für seinen oder ihren gemeinsamen Erfolg hilfreich sein könnte.
  3. Sie nutzen Ihren direkten Einflussbereich (das offene Gespräch mit dem Anderen) nicht aus und legen die Verantwortung für die Arbeitsbeziehung zu ihm ab. Sie geben sich selbst das Gefühl von Ohnmacht.
  4. Sie klagen Ihr Leid einem Dritten, der wahrscheinlich keinen direkten Einfluss auf die Situation hat. Damit belasten Sie eine weitere Beziehung, egal ob er mit Ihnen übereinstimmt oder ob er sich fragt, warum sie Ihre Verantwortung für das Miteinander nicht übernehmen – Freude bereitet solch ein Gespräch nie.

Es kann also in keinem Falle hilfreich sein oder der Lösung näher kommen oder ein gutes Selbstgefühl bei uns erzeugen, wenn wir nicht die direkte Ansprache wählen. Was uns zu einem vielzitierten und doch unglaublich schwer umsetzbaren Motto bringt: „Ich rede mit den Kollegen – nicht über die Kollegen.“ Schaffen Sie oder ich das lückenlos und jeden Tag? Vermutlich nicht. Werden unsere Arbeitsbeziehungen, unsere Ergebnisse und unser eigenes Wohlgefühl besser, wenn wir es trotzdem jeden Tag etwas mehr versuchen? Auf jeden Fall.

Foto: CC0 License

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