Chefs mit Moral und Anstand – das klingt wie eine gute Geschichte
VW als Negativbeispiel: Berater Fred Kiel spricht mit der Wirtschaftswoche über die Charakterfrage
Der US-amerikanische Berater Fred Kiel ist in einer Studie der Frage nachgegangen welche Art von Unternehmensführern langfristig erfolgreich ist. Teilgenommen haben 121 Manager der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt sowie 100 private Unternehmensgruppen und Non-Profit-Organisationen. Das Ergebnis: Wer die vier Charaktereigenschaften Integrität, Verantwortungsbewusstsein, Empathie und Versöhnlichkeit in sich vereint, der hat auf lange Sicht deutlich mehr Erfolg. Bis zu 30% sogar. Wobei in dem Wiwo-Artikel offen bleibt, welche Kenngröße sich um 30% steigert.
Das ist natürlich eine schöne Geschichte und genau das, was wir hören wollen. Werden Moral und Anstand in unserem Kulturkreis doch weiterhin als Tugenden gelehrt. Währenddessen uns Konzernbosse und Verbandschefs vorkommen wie Paten des organisierten Verbrechens. Globale Abgas- oder Korruptionsskandale, Winterkorn wird abgesetzt, Blatter gesperrt und die Deutsche Bank muss schon wieder von vorne anfangen, die Spitze neu zu besetzen und am Image irgend etwas zu retten. Interessant wird es an der Stelle, wo alle Berichterstattung so klingt, als wäre das ja alles auch schon lange klar gewesen.
Hier setzen ein paar interessante Effekte ein, die uns unser menschliches Gehirn vorgibt.
1. What You See Is All There Is
Wir glauben eine Story, wenn sie uns schlüssig vorkommt. Wir fragen dann nicht nach weiteren Informationen, die uns nicht vorliegen, oder überprüfen die statistische Wahrscheinlichkeit der Geschichte. Unser Gehirn kann uns rein intuitiv die Frage ausgeben: „Woher hat Fred Kiel konkret seine Informationen?“ und „Woher kommen seine Insider-Informationen aus dem VW-Konzern?“ und „Welche Erfolgskennziffer verändert sich um 30%?“. Diese Fragen produziert unser Gehirn aber nur, wenn ihm die Geschichte nicht schlüssig vorkommt. Nur wenn wir intuitiv das Gefühl haben: „Hier stimmt etwas nicht, hier will uns jemand täuschen.“ Seine Geschichte ist allerdings mit den allgemein gültigen Werten und Wünschen unseres Kulturkreises übereinstimmend. Viele von uns werden zu einer Reaktion neigen wie: „Das habe ich doch immer schon gewusst.“ Anstatt zu einem: „Das glaube ich erst, wenn ich es näher überprüft habe.“ Hätte Fred Kiel veröffentlicht, dass egozentrische Unternehmensführer langfristig erfolgreicher sind, die ihre Mitarbeiter drangsalieren und ihnen die Freiräume möglichst klein halten – so würden wir die Geschichte wohl weniger kohärent finden. Daniel Kahneman beschreibt diesen Effekt ausführlicher in „Schnelles Denken, Langsames Denken“
2. „Das haben wir doch schon vorher gewusst“
VW galt als weltweit erfolgreicher Konzern mit hohem Ansehen und hochwertigen Produkten. Nun setzt ein Vorgang ungeahnten Ausmaßes ein, ein Skandal, eine Affäre, die ein Jahr lang die Medienberichterstattung bestimmt. Die den Aktienwert des Unternehmens radikal beschädigt. Und wir lesen ganz häufig: das war ja klar. Das musst ja so kommen. Das haben wir doch immer schon geahnt/befürchtet/gewusst. Von vielen Insidern und Fachleuten, Branchenkennern und Journalisten. Haben die alle vorher ihre VW-Aktien verkauft, weil es so klar war, was da passiert? Haben sie stets darüber berichtet, dass VW nur deshalb den Angriff auf die Weltmarkt-Spitze starten konnte, weil sie ein „skrupelloser, betrügerischer und diktatorisch geführter Marionetten-Konzern“ sind? Oder konnten wir eher darüber lesen, wie strategisch weitblickend das Firmenportfolio zusammengestellt war. Wurde von Branchen-Insidern nicht eher gewürdigt, dass hier Ingenieure an der Konzernspitze stehen, die wirklich wissen, wie ein Fahrzeug gut wird, wie es sein muss? Ein altbekannter Effekt, spätestens seit Nassim Talebs „Der schwarze Schwan“. Die Manipulation und das Bekanntwerden der Manipulation waren höchst unwahrscheinliche Ereignisse. Wir können Ereignisse dieser Art nicht prognostizieren. Unser Gehirn verhindert allerdings auch, dass wir sie nachher als unvorhersehbar einstufen. Wir sind nach diesen Ereignissen immer davon überzeugt, dass wir es hätten sehen oder wissen können. Häufig glauben wir sogar, wir hätten es wissen müssen.
3. Die Verfügbarkeitskaskade
Wir lassen uns von der Medienberichterstattung sehr stark beeinflussen, denn die Medien bestimmen darüber, welche Informationen unser Gehirn schnell und leicht verfügbar hat. Die Berichterstattung zum Abgas-Skandal war so enorm breit und umfangreich und hat alle anderen Themen über einen langen Zeitraum dominiert. Wer sich nicht intensiv damit beschäftigt, verfolgt nicht, wie hoch die Folge-Kosten des Konzerns wirklich sind, wie stark die Absatzzahlen beeinflusst sind, ob sich der Aktienkurs wieder erholt. Im Gedächtnis bleibt das Getöse der Skandal-Berichterstattung, die angebliche Brandmarkung aller „Made in Germany“-Produkte und die kurzfristige Vernichtung des Aktienwerts. Daher ist es natürlich ein höchst geschickter Schachzug von Herrn Kiel, sich bei der Publikation seiner Studie auf dieses Beispiel zu berufen, weil unsere Gehirne es durch die Berichterstattung als „Mahnmal“ leicht verfügbar in Erinnerung haben. Ob hunderte anderer Firmen auch so „diktatorisch“ geführt oder strukturiert sind, fragen wir dann nicht. Ob alle anderen Automobilkonzerne jemals betrügerisch mit Grenzwerten oder anderen Kennziffern umgegangen sind, fragen wir dann nicht. Hier setzt wieder „What You See Is All There Is“ ein. Über die Verfügbarkeitskaskade können sie auch noch mehr in Kahnemans „Schnelles Denken, Langsames Denken“ erfahren
Was bedeutet das nun für uns? Können wir uns auf Fred Kiel verlassen? Müssen wir der Medienberichterstattung misstrauen? Machen sich in diesem Moment Unternehmensführer Gedanken darüber, wie sie mehr mit Anstand und Moral zu Erfolg kommen?
Zunächst einmal liegt auf der Hand: Sie dürfen dem Informationsumfang skeptisch gegenüberstehen, denn sie Ihrem alltäglichen Medienkonsum entnehmen. Und sie dürfen sich fragen, ob die Informationen, die Ihnen vorliegen ausreichen, um eine Meinung zu haben oder eine Entscheidung zu treffen.
Sie dürfen sich aber auch damit arrangieren, dass in der heutigen Zeit immer mehr Informationen existieren, als sie erhalten, behalten oder verarbeiten können. Wenn Sie wirklich ins Bild kommen wollen, was es nun mit all diesen Vorgängen bei VW auf sich hat, nehme ich an, dass Sie 4 Wochen intensiver Recherche aus einer breiten Zahl von Quellen betreiben müssten. Die Studie von Fred Kiel würden wir auch erst bewerten können, wenn wir sie intensiv durchgearbeitet hätten und im Anschluss neugierige Fragen zu seinem Vorgehen beantwortet bekommen.
Wenn sie also einen oder zwei Artikel lesen, dafür eine halbe Stunde investieren, dann können Sie in der Regel davon ausgehen, dass Sie eine gute Story präsentiert bekommen, die kohärent konstruiert ist. Behalten Sie im Hinterkopf, dass Ihr Gehirn nicht nach den Informationen fragt, die es nicht angeboten bekommt. Es nimmt, was da ist.
Und zu Unternehmensführern mit mehr Moral und Anstand? Darüber mache ich mir im nächsten Blog-Eintrag ein paar Gedanken.
http://www.wiwo.de/erfolg/management/fred-kiel-chefs-brauchen-moral-und-anstand/12484248.html
Kahneman, D. (2011). Thinking Fast and Slow. Farrah, Straus & Giroux: New York
Taleb, N. (2007). The Black Swan. The Impact of the Highly Improbable. Random House: New York
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