Burning Down the Out
Liegt es wirklich an der Menge der Arbeit und wer nimmt die psychischen Erkrankungen noch ernst?
Die Medien haben sich seit einigen Jahren auf das Thema der psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz eingeschossen. Keine Woche ohne Story über Burn-Out, Erschöpfung, Depression und Konsorten. Schnell gesellen sich Geschwister-Syndrome wie das Bore-Out dazu. Das macht anscheinend gut Auflage. Auch angetrieben durch die prominent besetzten Beispiele wie Peter Plate, Ralf Rangnick, Sven Hannawald und einige mehr. In der Berichterstattung wirkt das auf mich oft eher voyeuristisch als lehrreich oder warnend. Der „Zeit“ ging das Getöse um die neue Volkskrankheit bereits Ende 2011 zu weit – „Noch jemand ohne Burn-Out?“ wurde auf dem Titelblatt gefragt.
Erst vor kurzem las ich die Kolumne des Unternehmensberaters Dr. Markus Baumanns im Hamburger Abendblatt. Er beleuchtete einen Aspekt, der mir in der Beschreibung und Analyse von Burn-Out Fällen bis dahin fehlte: die Unklarheit. In der Regel wird die Erschöpfungsdepression auf eine zu hohe Arbeitslast, mangelnde Abgrenzung zum Privatleben und auf das Fehlen von Erholungspausen zurückgeführt. Baumann verlegte den Fokus auf Ziele, Aufgaben und Rollenverteilungen, die durch Führungskräfte nicht klar vermittelt werden. Diese Beobachtung musste ich selbst schon machen und finde es daher wichtig, diese Seite des Burn-Outs zu beleuchten.
Damit bestreite ich nicht die „traditionelle“ Herleitung über die Funktionalität unseres Körpers. Er funktioniert heute noch so, wie er schon in der Steinzeit überlebte. In seinen damaligen Stress-Situationen gab es zwei Reaktionen: Flucht oder Kampf. Damit konnten unsere Vorfahren ihr Überleben sichern. Um darin erfolgreich zu sein, schüttete der Körper Adrenalin und weitere Katecholamine aus. Wenn der Körper dann wirklich physisch in Flucht oder Kampf ging, baute er diese Hormone wieder ab und konnte sich in einer darauffolgenden Ruhephase in der sicheren Höhle erholen. Erlebt der moderne Mensch den Stress in seinem Arbeitsumfeld, baut er die Hormone aber gar nicht in Flucht oder Kampf ab, sondern verharrt am Schreibtisch, am Fließband oder im Konferenzraum. „Es sei denn, man verprügelt den Chef oder läuft wie von Sinnen vor ihm weg“ (Maximilian von Hochleben). Der Körper kommt in ein Ungleichgewicht. Bei Dauerstress ohne Ruhepausen, also dauerndem Flucht-oder-Kampf-Modus, steigert sich das Ungleichgewicht bis zur Erschöpfungsdepression.
Baumanns und das ERI-Modell von Johannes Siegrist sehen ein weiteres Ungleichgewicht mit negativen psychischen Auswirkungen: die Effort-Reward-Imbalance. Dieses Modell sieht jeden Arbeiter in einem Balance-Spiel, in dem seine Anstrengungen (z.B. zunehmende Komplexität, steigende Ansprüche, Zeitdruck) in einer Waagschale liegen. Wenn in der anderen Waagschale entsprechende Belohnungen liegen (z.B. Feedback, Gestaltungsmöglichkeiten, persönliche Entwicklung) kann er diese Anstrengungen erbringen, ohne körperlich oder psychisch zu leiden. Fehlen die Belohnungen, dann kommt das Ungleichgewicht: der Auftrag bleibt unklar, der eigene Einfluss ist eingeschränkt, zum Vorgesetzten besteht keine gute Beziehung. Dann reibt der Arbeiter (egal ob Fach- oder Führungskraft, handwerkliche oder Wissensarbeit) sich auf und weiß nicht wofür. Stress entsteht, der zu negativen psychischen Auswirkungen führt, sofern der Betroffene nicht über hohe Selbststeuerungskompetenzen verfügt.
Dazu nochmals Hermann Scherer zitiert, der in einer Anekdote von den heftigsten Turbulenzen berichtet, die er je bei einem Flug erlebte und bei denen sogar der Pilot und die Cabin Crew mehr als hektisch wurden. Alle Passagiere schliefen ein. Für Scherer die letzte Reaktion des Körpers in einer Situation der totalen Ohnmacht in der kein sinnvolles Handeln mehr möglich ist. Ich finde, das ist mit dem Burn-Out vergleichbar: der Körper schaltet automatisch aus, wenn er keine sinnvolle und effektive Handlungsmöglichkeit mehr sieht.
Zum Schluss eine Zahl: Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz schätzt die volkswirtschaftlichen Folgekosten des Burnout-Syndroms in der EU auf rund 20 Milliarden Euro jährlich.