Matching the Maps
Wie man mehr versteht und besser verstanden wird, wenn man sich um die inneren Landkarten anderer bemüht.
Letztes Jahr in einer Vorlesungsreihe des Schulz von Thun Instituts wurde ich mit dem Appell konfrontiert: „Erwarte Differenzen und begrüße sie, denn die Wahrheit beginnt zu zweit“. Obwohl das inzwischen einer meiner Lieblingssätze ist, bedeutet er eine Haltung, die ich selten instinktiv einnehme und die auch nicht immer zu meiner Verfügung steht. Woran ich arbeiten möchte, denn es ist eine tolle Formel, wann auch immer man (mindestens) zu zweit in eine Kommunikation/Zusammenarbeit/Partnerschaft eintritt.
Unter dem Titel „Die Wahrheit beginnt zu zweit“ gibt es auch einen Ratgeber von Michael Lukas Moeller, der sich auf Paare konzentriert. Aber die Formel kann viel universeller auf alle Zweier- und Mehrfach-Konstellationen angewandt werden: Eltern/Kind, Führungskraft/Mitarbeiter, Projektleiter/Team-Mitglied, Kollegen, Verwandte und Freunde. Sie basiert darauf, dass jeder seine Umgebung ganz individuell wahrnimmt. Dass alle Farben, Temperaturen, Räumlichkeiten, Gerüche, Berührungen und Klänge durch unsere Sinnesorgane und Nervensysteme bei jedem von uns ganz individuell verarbeitet und empfunden werden. Und teilweise sehr unterschiedlich. Die eine objektive Wahrheit scheint es nicht zu geben: wie war es denn wirklich? Was wurde wirklich in der Besprechung gesagt? Wie lange haben wir wirklich dafür gebraucht?
Häufig reden wir dann davon, dass wir uns jetzt mal auf Objektivität besinnen müssen, dass wir eine Sache neutral beurteilen wollen, dass wir die Fakten in einem Protokoll festhalten wollen. Geht gar nicht. Keiner von uns kann das. Auch wenn zu zweit die Wahrheit beginnt, so wird sie dennoch nicht erreicht. Ein dritter oder vierter Kollege würde das Protokoll noch anders formulieren, hat diese oder jene Priorisierung doch noch anders verstanden. Obwohl wir alle dabei waren, erwachsene Menschen, Profis, der gleichen Sprache mächtig. Aber immerhin: wenn wir zu zweit anfangen, gleichen wir unsere Wahrnehmung ab. Wenn wir Differenzen erwarten und wenn wir sie zulassen, dann lassen wir zusätzliche Impulse und Wahrnehmungen unserer Umgebung zu, die uns selbst nicht zur Verfügung standen: wir kommen der Objektivität ein bisschen näher.
In der Kommunikationspsychologie ist die Metapher für die individuelle Wahrnehmung die innere Landkarte. Und wir sprechen davon, dass die Landkarte nicht das Gebiet ist. Sie bildet Aspekte eines Areals ab: die Aspekte, die man selbst herausgefiltert hat. Die unser Unterbewusstsein aus Millionen von Reizen, die minütlich auf uns einströmen, als relevant heraussortiert und auf unsere Karte gezeichnet hat.
Stephen Covey (1932-2012) schilderte in „The 7 Habits of Highly Effective People“ den Weg, seine innere Landkarte mit den Landkarten anderer abzugleichen als einen der Wege persönlich effektiver und erfolgreicher zu werden. Besser zu verstehen und dann auch besser verstanden zu werden. Für mich klingt es bei ihm manchmal, als könne man dadurch etwas wie Objektivität erreichen. Ich glaube, dass das nicht geht. Und ich habe mittlerweile auch den Eindruck, dass wir nicht nach Objektivät streben müssen. Da die Subjektivität allgegenwärtig um uns herum absolut ist, und weil wir sie auch als Kraft und als Chance nutzen können. Gleichzeitig finde ich Coveys Appell, die eigene Landkarte immer weiteren Abgleichen mit anderen zu unterziehen richtig und förderlich für die eigene Entwicklung und für die eigenen Fähigkeiten.
Unterm Strich ist es wie in „The Matrix“, wenn Morpheus die rote und die blaue Kapsel anbietet. Eigentlich liegen alle Menschen inaktiv in Flüssigkeit und dienen den Maschinen als Energiequelle. Die Wahrheiten dieser Menschen sind manipulierte Illusionen. Neo wählt die rote Kapsel, er will aus der Illusion ausbrechen, aufwachen, die Wahrheit sehen. Diese rote Kapsel gibt es für uns so nicht. Aber ich kann Sie nur alle bitten: geben Sie sich nicht mit der blauen zufrieden. Mit ausschließlich Ihrer eigenen Illusion beziehungsweise mit ihrer eigenen Wahrnehmung. Erwarten Sie Differenzen und begrüßen Sie sie. Wenn nicht die Wahrheit, so beginnt doch zumindest die bessere Landkarte zu zweit.