Chefs mit Moral und Anstand – Was braucht es dafür wirklich?
Was sind Alternativen zum kurzfristigen Erfolgsdruck als Unternehmens-Antrieb. Und warum gibt es Chefs ohne Moral und Anstand?
In meinem letzten Blog-Eintrag bin ich auf einen Artikel der Wirtschaftswoche über Fred Kiels neues Buch „Return on Character – The Real Reason Leaders and Their Companies Win“ eingegangen. Kiel ist Unternehmensberater, Coach und Autor und hat eine Studie über einen Zeitraum von 7 Jahren gestaltet. Er verglich den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen, deren Führer sich an moralischen Prinzipien orientieren, und Unternehmen, die von selbstzentrierten CEOs gelenkt wurden.
Seine Ergebnisse weisen die Unternehmen unter der Leitung von „Virtuoso CEOs“ langfristig als 30% erfolgreicher aus. Auf welche Kennziffer sich die 30% beziehen, bleibt in dem Artikel unklar. Nehmen wir an, es geht um den Profit über den Zeitraum seiner Studie (7 Jahre von 2006-2013).
Betrachten wir zunächst, wem die Chefs Rechenschaft ablegen, wem gegenüber sie die Ergebnisse erbringen müssen und wer sie beruft und wieder abberuft: die Unternehmenseigentümer in Form von Einzelpersonen, von Holding-Gesellschaften, Aufsichtsräten oder von Aktionären. Diese möchten in der Regel kurzfristig Ergebnisse. Quartalsweise sollen Absätze, Umsätze, Profits und/oder Marktanteile wachsen. Bleiben diese Ergebnisse kurzfristig aus, so entsteht sofort Druck: Rechtfertigungsdruck, Handlungsdruck.
Es gibt für jeden Unternehmensführer einen klassischen Strauß an Maßnahmen, die schnelle und zählbare Ergebnisse bringen: Zusammenlegung von Bereichen, Entlassungen, Reduzierung der Qualtität des Produkts und/oder des Service, Absatzschlacht zu niedrigeren Preisen oder ein Anziehen der Konditionen. Auch geringere Innovations- oder Marketing-Ausgaben, und ein Management durch striktere Anweisungen und schärfere Kontrolle gehören dazu. Diese Maßnahmen sind schnell und leicht zu liefern. Sie lassen sich gut verkaufen („mal die Zügel anziehen“, „straffere Struktur“, „Synergien entdecken“). Und sie stehen im Einklang mit der Sozialisation in unserer Kultur in Familien und Schulen: strenger sein, konsequenter sein, Konkurrenzkampf intern und extern.
Sie gehen leider nicht einher mit den vier moralischen Prinzipien der Unternehmensführung, die Kiel bereits vor 2006 formulierte: Integrität, Verantwortungsbewusstsein, Empathie und Versöhnlichkeit.
Es ist wie mit dem P/PK-Gleichgewicht, von dem Stephen R. Covey schreibt: P steht bei ihm für Produktion, das sind die Ergebnisse, das Messbare, und der kurzfristige Erfolg; und PK ist die Produktionskapazität: die Wartung der Maschinen, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, Innovationen. PK ist das worum Sie sich kümmern müssen, wenn sie im nächsten Quartal und im nächsten Fiskaljahr weiterhin gute oder wachsende P-Ergebnisse erzielen wollen. In der Balance steckt der Schlüssel zur Erfolgsgeschichte. Covey’s Beispiel ist die Gans, die goldene Eier legt. In der Fabel schlachtet der Bauer die Gans, um schneller an mehr goldene Eier zu kommen. Mit dem Fazit, dass der Bauer nun überhaupt keine goldenen Eier mehr bekommt.
Nehmen wir mal an, ein Geschäftsführer nimmt sich vor, ein bislang selbstzentriert geführtes Unternehmen in Zukunft mit mehr Weitsicht und moralischen Prinzipien führen. Er oder sie möchte vom Fokus auf P weg hin zu einem P/PK-Gleichgewicht. Wie lange dauert es, das Unternehmen zu drehen und den langfristigen Erfolg abzuschöpfen? 1,5 Jahre? 2 Jahre oder sogar 3? Wer muss alles mitwirken, mit auf den Weg genommen werden? Die Mitarbeiter, Medien, Lieferanten, Kunden, Shareholder. Wie lange dauert es, um erfolgreich die Unternehmenskultur anzupassen? Eine pauschale Zeitspanne ist sicherlich nicht zu benennen, doch es steht fest: schnell geht das nicht. Der nächste Quartalsreport kommt schneller.
Was braucht es nun, damit der Wandel gelingen kann.
- Zum einen braucht es die vollumfängliche Handlungsmacht. D.h. der Unternehmensführer ist unabhängig, weil er selbst (Mehrheits-)Inhaber ist. Oder er hat den vollen Rückhalt der Inhaber und Shareholder über einen signifikanten Zeitraum hinweg (mindestens 2 Jahre – je größer das Unternehmen ist, desto länger muss diese Zeitspanne werden). Die Internet-Giganten Google und Facebook werden hier oft als Beispiel angeführt, weil die Gründer die Mehrheit der Anteile im eigenen Besitz gehalten haben und damit ihre eigene Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sichern.
- Es braucht Zeit. Laut der Change Management Studie 2015 von CapGemini wird mit überwältigender Mehrheit in einer Vielzahl internationaler Unternehmen Zeit als die wichtigste Ressource im Wandel angesehen.
Sehr viele Firmen verfügen über keine dieser beiden Bedingungen. Insofern bräuchte es schon fast einen Wandel des gesamten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems, um den Druck von den kurzfristigen Ergebnissen, den Druck auf P anstatt P/PK-Gleichgewicht zu reduzieren. Solange in unserem System immer die Steigerung der Rendite, unendliches Wachstum und kurzfristige Ergebnisse die Maxime sind, wird es voraussichtlich nichts werden mit den von Kiel geforderten Chefs mit Moral und Anstand.
Allerdings erleben wir, dass das System an vielen Stellen bereits aufgehört hat so zu funktionieren, wie wir es kennen. Insofern steht uns vielleicht der Wechsel sowieso bevor, wie Management-Vordenker, Autor und Berater Prof. Dr. Fredmund Malik schreibt. Sein Stichwort für das (immer noch) junge Jahrtausend lautet „Große Transformation 21“. Er erwartet, dass wir „…eine grundlegende Änderung von fast allem erleben, was wir tun, wie wir es tun und warum wir es tun. In gewisser Weise wird sich sogar ändern, wer wir sind.“
Kiel, F. (2015). Return on Character – The real reason leaders and their companies win. Harvard Business Review Press: New York.
Kiel, F. (2005). Moral Intelligence. Prentice Hall: New Jersey
Covey, S. (2004). The 7 Habits of Highly Effective People. FreePress: New York.
http://www.wiwo.de/erfolg/management/fred-kiel-chefs-brauchen-moral-und-anstand/12484248.html
https://www.de.capgemini-consulting.com/resources/change-management-studie-2015
http://www.malik-management.com/de/grosse-transformation21
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